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1. Wiederkehr des Gleichen

1.1. Ein Gedicht von Heinrich Heine

Das Fräulein stand am Meere
und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.


Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Sonnenuntergang

Sonnenuntergang an der Küste bei Saint-Martin Boulonge an der Kanalküste.

Heine hat recht. Es ist tatsächlich ein altes Stück. Jeden morgen geht die Sonne auf und jeden Abend verschwindet sie unter dem Horizont.

Heine hat aber unrecht, wenn er sich über die Ergriffenheit des Fräuleins mokiert. Die alten Stücke rühren am tiefsten. In festem Rythmus erscheinen immer wieder

  • die gleichen Sternbilder am Himmel.
  • Die Pflanzen blühen,
  • Bäume werden grün
  • und ihr Laub verfärbt sich wieder.

Diese stete Wiederkehr, dieser Rhythmus, welcher die Zeit prägt, begründet unser Vertrauens in die Welt. Jedes Leben richtet sich nach diesem regelmäßigen Takt. Ohne ihn fänden wir uns nicht zurecht. Darauf können wir uns verlassen. Deswegen gehört er zu der Urerfahrung, die uns hier zuhause sein lässt und die Leben und Denken erst möglich macht. Geschehnisse wiederholen sich in voraussagbarer Weise, Regen fällt aus den Wolken, Flüsse fließen abwärts ins Meer. Verdunstetes Wasser steigt wieder aufwärts. Diese ständigen Regelmäßigkeiten und Kreisläufe lassen uns an das Kausalgesetz glauben.

leberblume Traube Schnee Blumen im Gehölz

  • Leberblümchen drängen sich durch das tote Laub.
  • Wein reift in der Herbstsonne.
  • Alles liegt erstarrt wie tot unter Schnee.
  • Wieder drängen sich Blumen durchs Gehölz

Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkung.

In diesem alle Worte nur auf den ersten Blick klar.

  • Was bedeutet "gleich"?
  • Was bedeutet Ursache ?
  • Was bedeutet Wirkung?

Ich will an späterer Stelle darüber nachdenken.

Zunächst wollen wir uns mit der vagen Deutung der Worte begnügen. Auf jeden Fall können wir sagen: Oft sind große Entdeckungen mit der Entdeckung von Rhythmen verbunden. In vielen Religionen, in heiligen Schriften wird über Rhythmen, die Wiederkehr nachgedacht.

1.2. Anaximander

So ging Anaximander nach dem Buch von Capelle davon aus, dass sämptliche Zustände der Welt immer wieder kehren.

„Anaximandros erklärte, dass das Vergehen und viel früher das Entstehen erfolge, indem sie die Welten alle seit unendlicher Zeit periodisch wiederkehrten.“ Anaximandros glaubte an die ewige Wiederkehr des Gleichen. Die These von der ewigen Wiederkehr wird immer offen sein. Denn wenn wirklich das kleinste Detail wiederkehrt, so kann man die Zustände nicht unterscheiden.

Mythen erzählen davon. So auch in der folgenden Stelle aus dem Buch Salomos.

1.3. Altes Testament

Nun liest man freilich im Buche Salomos, genannt der Prediger, die Worte `Was ist's, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist's, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird, und geschieht nichts neues unter der Sonne. Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: `Siehe das ist neu'. Es ist zuvor auch geschehen in den langen Zeiten, die vor uns gewesen sind.

Dies ist nach Augustinus zitiert

In der Einheitsübersetzung lautet die Stelle in Prediger 1.

4 Eine Generation geht, eine andere kommt. Die Erde steht in Ewigkeit.  5 Die Sonne, die aufging und wieder unterging, atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht. 6 Er weht nach Süden, dreht nach Norden, dreht, dreht, weht, der Wind. Weil er sich immerzu dreht, kehrt er zurück, der Wind. Alle Flüsse fließen ins Meer, das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, kehren sie zurück, um wieder zu entspringen. 8 Alle Dinge sind rastlos tätig, kein Mensch kann alles ausdrücken, nie wird ein Auge satt, wenn es beobachtet, nie wird ein Ohr vom Hören voll. 9 Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was getan wurde, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. 10 Zwar gibt es bisweilen ein Ding, von dem es heißt: Sieh dir das an, das ist etwas Neues - aber auch das gab es schon in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. 11 Nur gibt es keine Erinnerung an die Früheren und auch an die Späteren, die erst kommen werden, auch an sie wird es keine Erinnerung geben bei denen, die noch später kommen werden.

1.4. Augustinus

Sonnenuntergang
Der heilige Augustinus in der alten Pinakothek von München. Michael Pacher malte das Bild als Teil eines Flügelaltars mit den vier lateinischen Kirchenvätern

Zur Zeit des Augustinus wurde die ewige Wiederkehr des Gleichen im Zusammenhang mit auch heute noch interessanten kosmologischen Ideen diskutiert.(Siehe auch Augustinus von Hippo) Eine aufregende Frage war:

Warum hat Gott den Menschen so spät geschaffen?

Viele ärgerte es, dass die Menschheit nach der heiligen Schrift erst so kurz bestand. Dabei hatte doch der Philosoph Demokrit und mit ihm sehr viele andere Philosophen gelehrt: Die Zeit sei unentstanden. (Wilhelm Capelle, 1968 Seite 418)

Die Menschen erregten sich darüber, "dass der Mensch in ungezählten Zeiträumen noch nicht da war, sondern so spät erschaffen wurde" (Aurelius Augustinus, 1978 Seite 77). Augustinus stellt zunächst fest, dass dieser Skandal, wenn er einer ist, nicht an dem kurzen Zeitraum seit Menschheitsbeginn liegt, sondern an der Endlichkeit der Menschheitsgeschichte gegenüber der Unendlichkeit der Zeit. Was hat Gott vorher gemacht? Hat er sich gelangweilt? Denn jeder endliche Zeitraum, dauert er auch noch so lange, ist ein Nichts gegenüber der schon abgelaufenen Zeit ohne Anfang. Für einen Mathematiker ist es interessant, wie Augustinus den Unterschied zwischen endlicher Zeit und der Unendlichkeit erklärt.

Jener Zeitraum aber, der von einem Anfangspunkt ausgeht und mit einem Schlusspunkt endet, mag er sich erstrecken so weit er will, er ist, verglichen mit dem, was keinen Anfang hat, ich weiß nicht, soll ich sagen für unendlich klein oder für gar nichts zu erachten. Denn nimmt man, beim Endpunkt anfangend, auch nur die kleinsten Zeitteilchen eins nach dem anderen weg, so wird man, handelt es sich auch um eine so gewaltige Zahl, dass die Worte dafür fehlen, bei beharrlichem Zurückgehen– wie wenn man von den Lebenstagen eines Menschen von heute bis zum Tage der Geburt einen nach dem anderen weg nähme– irgendwann einmal an den Anfang gelangen. Werden dagegen bei einem Zeitraum, der keinen Anfang hat, nacheinander nicht etwa geringfügige Zeitteile oder Stunden, Monate oder Jahre, sondern so große Zeitstrecken weggenommen wie jene Jahressumme, die von keinem Rechenmeister mehr vorgestellt werden kann, aber immerhin bei ständiger Subtraktion zuletzt ganz hinschwände, und würden solch ungeheure Zeitstrecken nicht nur einmal, zum zweitenmal und öfter, sondern immer wieder weggenommen, was würde es nützen, was würde man damit erreichen, wenn man niemals zum Anfang gelangt, den es ja überhaupt nicht gibt. Ebenso wie wir jetzt nach fünftausend und etlichen Jahren könnten demnach unsere Nachkommen diese vorwitzige Frage stellen, falls unser sterbliches, unwissendes und schwaches Menschengeschlecht im Wechsel von Entstehen und Vergehen dann noch existiert. (Aurelius Augustinus, 1978 Seite 78)

Augustinus verwendet hier die Tatsache, dass in der Menge der natürlichen Zahlen jede absteigende Kette abbricht. Dies ist das Prinzip des kleinsten Verbrechers. Es wird sehr oft in Beweisen verwendet. Es ist logisch äquivalent mit dem Induktionsprinzip. Man kann zeigen, dass dann jede nicht leere Teilmenge der natürlichen Zahlen ein kleinstes Element hat. Er erläutert dann, dass dies in einer geordneten Menge, die anfangslos ist keineswegs der Fall sein muss. Augustinus sagt also: Immer dann, wenn wir mit den alten Philosophen eine unendliche Zeit annehmen, will es nicht in unsern Kopf, dass Adam zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen wurde. Auch heute ist und bleibt es ein Skandal, wenn die Zeit nicht glatt, nicht gerade wäre. Dies ist eines der tiefsten Dogmen der Physik.

Augustinus fragt hier vieles was die Kosmologen bis heute nur bruchstückhaft beantworten können.

  • Nehmen wir an. Die Zeit sei gleichförmig einer in beiden Richtungen unendlichen Geraden. Wenn die Zeit keinen Anfang hat und kein Ende, wo liegt dann ein das Intervall in der die Menschheit existiert? Wo liegt dann das Intervall in der Leben existiert? Wo liegt das Intervall in der unsere Erde und unsere Sonne existiert?
  • Was ist die Homogenität der Zeit?

Die Zeit ist homogen.


Emmy Noether hat 1918 bewiesen, dass aus der Homogenität der Zeit zwingend der Energieerhaltungssatz folgt.

Es gibt übrigens schöne Vorschläge zum Bau eines Perpetuum mobile, wenn die Zeit in gewissem Sinne inhomogen ist. Wer sich dafür interessiert mag, in dem Buch von Henning Genz (Henning Genz, 1987 Seite 128 ff) nachlesen. Da sich aus der Homogenität der Zeit der Energieerhaltungssatz ergibt, wird der Energiesatz mit Zähnen und Klauen verteidigt. Keine Theorie, die ihn leugnet wird sich lange halten können einfach, weil die meisten Physiker eine inhomogene Zeit als abgrundtief hässlich empfinden. Wir sehen also: Die Probleme der Antike waren ähnlich wie unserere Fragen.

Einige Philosophen versuchten damals diesen Skandal der Inhomogenität dadurch aufzulösen,

dass sie Zeitumläufe einführen und behaupteten, dass sich in der Natur der Dinge stets das Gleiche erneuert und wiederholt und vergehende Weltprobleme unaufhörlich ihre Kreise ziehen würden. (Aurelius Augustinus, 1978 Seite 79)

Eines der Hauptargumente der Vertreter dieser Lehre war etwa folgendes:

Die Welt der existierenden Dinge ist endlich. Aristoteles hatte gelehrt, dass eine aktual unendliche Menge nicht existieren kann. Thomas von Aquin sagte sogar (zitiert nach (Rudy Rucker, 1989 Seite 17), dass "`Gott keine absolut unbegrenzten Dinge hervorbringen kann, obwohl seine Macht unbegrenzt ist."' Aristoteles glaubte eine aktual unendliche Menge sei in sich wiedersprüchlich. Andererseits wurde die Zeit doch als homogen empfunden. Sonst wäre jeder Glaube an eine sinnvolle Naturgesetzlichkeit hinfällig geworden. Also die Zeit entspricht einer homogenen Geraden, die keinen Anfang hat. Wenn das aber der Fall ist, wo soll dann eine endliche Weltgeschichte auf dieser Geraden untergebracht werden, ohne die schöne Homogenität zu zerstören? So wird die Zeit mit einem Muster einem zeitlichen Kristall aufgefüllt. Das Rollefass der Kosmosgeschichte rollt um sich selbst ohn Unterlass auf der Zeitgeraden. Es geschieht immer wieder das Gleiche. Wir haben einen Kompromiss zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit geschlossen.

Augustinus kann dies nicht akzeptieren.

1.4.1. Vom Irrwahn der ewigen Wiederkehr des gleichen


Er sagt:

Nie jedoch wird rechter Glaube darauf verfallen, mit diesen Worten Salomos, seien jene Umläufe gemeint, in denen sich Zeiten und zeitliche Dinge in endlosen Kreisen wiederholen sollen.

Denn einmal nur ist Christus für unsere Sünden gestorben "`auferstanden aber von den Toten, stirbt er hinfort nicht mehr, und der Tod wird hinfort nicht über ihn herrschen"' Und auch wir werden nach der Auferstehung immer beim Herrn sein. (Aurelius Augustinus, 1978 Seite 81)

In raffinierter Weise greift Augustinus die Theorie in ihren Grundfesten an.

1.4.2. Die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit erschaffen


Wenn man Ewigkeit und Zeit mit Recht so unterscheidet, dass es keine Zeit gibt ohne Wandel und Veränderlichkeit, während Ewigkeit keine Veränderung kennt, so ist klar, dass Zeiten nicht sein könnten ohne Kreatur, die durch Bewegung Veränderung hervorruft, eine Bewegung und Veränderung bei der eins dem anderen weicht und folgt, da ein Zugleich unmöglich ist, woraus sich bei kürzerem und längerem Verlauf die Zeit ergibt. 1

Da nun Gott, in dessen Ewigkeit es keinerlei Wandlung gibt, Schöpfer und Ordner der Zeiten ist, kann man unmöglich sagen, er habe erst nach Ablauf von Zeiten die Welt geschaffen. Man müsste sonst behaupten, es habe schon vor der Welt eine Kreatur gegeben, deren Bewegung den Zeitlauf in Gang gebracht hätte."' (Aurelius Augustinus, 1978 Seite 11)

Wenn es überhaupt einen Verursacher von Bewegung gibt, und Bewegung erst die Zeit ausmacht, so hat der Verursacher der Bewegung auch die Zeit geschaffen.

Auf den ersten Blick hört sich dieses Argument sehr überzeugend an. Aber ich glaube es muss doch genauer darüber nachgedacht werden. Ich meine die Zurückführung der Zeit auf Bewegung und umgekehrt ist zirkelhaft. 2

Auch weicht Augustinus nicht dem Problem der notwendigen Zeithomogenität aus. Da ist zunächst das seltsame Zusammenspiel von Dauer und Veränderung.

Wie kann eine Veränderung gemerkt werden. Doch nur auf einem gleichbleibenden Hintergrund und wenn es der Hintergrund des Gedächtnisses ist. Der jetzige Zustand wird mit einem Zustand im Gedächtnis verglichen. Ist dort das Bild anders, erst dann kann von Bewegung von Veränderung gesprochen werden. Ein Astronom stellt folgendermaßen fest, ob ein Stern sich bewegt hat. Er legt ein zum Zeitpunkt <math>t0</math> fotografiertes Bild auf eine Fotografie, welche zum Zeitpunkt <math>t</math> gemacht wurde. Stimmen diese Bilder nicht exakt überein, so hat sich etwas bewegt. Werden wir morgen wach und alles hat sich geändert, auch unser Wissen über die Welt, so bemerken wir die Veränderung nicht. Stellen wir uns einen bösen Geist vor, der die Welt durcheinanderwirbelt. Gleichzeitig ändert er aber in unserm Kopf die Anschauung über die Welt gerade so, dass sie zu der veränderten Welt passt. Dann können wir die Veränderung nicht merken.

Veränderung ist nur feststellbar auf dem Hintergrund des Unveränderlichen. 3

Es gilt wahrscheinlich:

Um Zeit wahrzunehmen sind zwei Dinge notwendig:

  • Periodische Vorgänge. Sie sind die "`ewige Wiederkehr des Gleichen"'. Es ist der Rhythmus, der dem Leben, der Zeit aufgeprägt ist. Dies hängt stark mit dem Energieerhaltungssatz zusammen.
  • Die Sanduhr gibt der Zeit einen Pfeil.

Auch die Sanduhr ist nur verständlich, wenn andrerseits die Zeitmarken gleichmässig gesetzt sind. Nur wenn das Rad der Zeit gleichmäßig weiterläuft, kann gesagt werden, dass etwas monoton zunimmt.

Umgekehrt könnten wir das Gleichbleibende gar nicht feststellen, wenn es keine Veränderung gibt.


Dazu machen wir folgendes Gedankenexperiment. Denken wir uns, einer hätte die vollkommene Zeitmaschine erfunden. Ich behaupte keiner könnte es merken. Das ist leicht einzusehen. Nehmen wir an Professor Zeitstein dreht an seiner Maschine, so dass wir alle zurückversetzt werden. Das hieße aber alles ist so wie es früher war. Professor Zeitstein wäre verschwunden samt unserm Wissen über die Zukunft. Das heißt keiner würde es überhaupt merken. Eine Zeitmaschine, die vollkommen ist, ist also unbrauchbar. Eine Zeitmaschine, die brauchbar ist, muss die globale Zeit auseinanderreißen. Nur der kann merken, dass wir zeitlich zurückversetzt worden sind, dessen private Zeit nicht verändert wurde.

Augustinus sagt also, dass die Welt zusammen mit der Zeit erschaffen wurde. Sie hat einen Anfang. Auch er weiß natürlich, dass er dadurch die Homogenität der Zeit zerstört. Damalige Philosophen konnten dies nicht akzeptieren. Deswegen weist er auf ein räumliches Analogon hin. So lehrte beispielsweise Xenophanes, das All sei kugelförmig und begrenzt, nicht entstanden, sondern ewig und durchaus unbewegt. Dies All ist im Raum und die Existenz dieses Alls zerstört die Homogenität des Raumes. Augustinus schreibt dazu:

Sodann muss man denen, die wie wir Gott als Schöpfer der Welt gelten lassen, aber uns mit der Frage bedrängen, wie die Welt und die Zeit sich zueinander verhalten, die Gegenfrage stellen, wie sich denn Welt und Raum zueinander verhalten? So gut nämlich wie man fragt, warum sie damals und nicht vorher erschaffen ward, kann man auch fragen, warum gerade hier und nicht anderswo. Denn wenn man sich unbegrenzte Zeitlängen vor Beginn der Welt ausdenkt, in denen, wie man meint, Gott nicht untätig gewesen sein kann, müsste man sich entsprechend auch eine unbegrenzte Raumausdehnung außerhalb der Welt ausdenken. Sagt man nun, der Allmächtige habe auch hier nicht müßig sein können, folgt dann nicht, dass man mit Epikur von unzähligen Welten träumen muss, lediglich mit dem Unterschied, dass dieser sie durch zufällige Bewegung der Atome entstehen und vergehen lässt, während jene sie als durch Gottes Wirken geschaffen ansehen. Da sie nun lehren, diese eine zwar ungeheuer große, immerhin endliche Welt sei räumlich begrenzt und durch Gottes Wirken entstanden, so mögen sie sich diesselbe Antwort, die sie auf die Frage geben, warum Gott in den endlosen Räumen außerhalb unserer Welt untätig sei, auch auf die Frage seiner angeblichen Untätigkeit in den endlosen Zeiten vor dieser Welt erteilen …

Wie man aus der Tatsache, dass Gott nicht anderswo, sondern gerade an diesem Orte der Welt ihren Platz angewiesen hat, obwohl er vor anderen gleichmäßig unbegrenzten überallhin offenen Räumen keinen Vorzug besaß, nicht folgern darf, hier liege nur ein Zufall vor und nicht göttlicher Plan, obwohl keine menschliche Vernunft diesen göttlichen Plan ergründen kann, so darf man auch nicht folgern, ein Zufall habe es bewirkt, dass Gott gerade in dieser und nicht einer früheren Zeit die Welt schuf, mochten auch rückwärts unbegrenzte Zeiträume verstrichen und kein Grund einzusehen sein, weshalb einer Zeit vor einer anderen der Vorzug hätte gegeben werden müssen.

Sagen sie aber, es seien nur törichte Menschengedanken, die sich solche unbegrenzten Räume einbilden, während es in Wirklichkeit keinen Raum außerhalb der Welt gebe, nun so erfolgt die Antwort, dass es ebenso töricht ist, wenn die Menschen sich vergangene Zeiten göttlicher Untätigkeit ausdenken, während es doch keine Zeit gibt vor der Welt. (Aurelius Augustinus, 1978 Buch 11 -22 Seite 9)

Augustinus sagt also seinen Gegnern: Wenn ihr den Raum als inhomogen gelten lasst, warum dann nicht die Zeit?

Übrigens eine Randbemerkung: Demokrit weicht der Inhomogenität des Raumes dadurch aus, dass er unendlich viele Welten fordert, wie es später Giordano Bruno wieder tun wird.

Von einer zweiten Seite her greift Augustinus die Wiederkehrlehre an. Sie war ja nur dadurch zustande gekommen, dass Aristoteles eine unendliche Welt ablehnte. Genau dies bezweifelt Augustinus. Hier sieht man, dass er ein origineller Denker war, der sich nicht durch Autoritäten ins Boxhorn jagen ließ. Er belegt die aktuale Existenz einer unendlichen Menge

Wenn sie aber weiter sagen, selbst Gottes Wissen könne das Unendliche nicht fassen, wird ihnen nichts anderes übrigbleiben, als die dreiste Behauptung aufzustellen und damit in den Abgrund tiefer Gottlosigkeit zu stürzen, Gott wisse auch nicht alle Zahlen. Denn dass diese unendlich sind, ist unbestreitbar. Kann man doch jede Zahl, bei der man zu zählen aufhören möchte, nicht nur um eins vermehren, sondern auch, so groß sie ist und welch ungeheure Summen sie auch in sich schließt, nach dem Gesetz und der Wissenschaft der Zahlen nicht nur verdoppeln, sondern auch mit sich selbst multiplizieren. Dabei hat jede Zahl ihre besondere Eigentümlichkeit, so dass keine einer anderen gleich sein kann. Demnach sind sie untereinander ungleich und verschieden, jede einzelne begrenzt, aber in ihrer Gesamtheit unendlich. Kennt also Gott nicht alle Zahlen, weil sie unendlich sind, und reicht sein Wissen nur bis zu einer gewissen Summe? Ist ihm, was darüber hinausgeht verborgen? Welcher Narr möchte das behaupten? Man wird doch auch nicht wagen, die Zahlen zu verachten und zu sagen, Gottes Wissen habe damit nichts zu schaffen, lehrt doch Plato mit seinem großen Ansehen, Gott habe die Welt nach Zahlen gebildet. Und bei uns liest man von Gott

"`Alles hast du nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet"'. (Aurelius Augustinus, 1978 Seite 90) 4

Augustinus weist also nach, dass die Menge aller natürlichen Zahlen im Wissen Gottes aktual vorhanden ist. Also gibt es zumindest eine aktual unendliche Menge. Er erläutert dies, indem er modern ausgedrückt an das Induktionsaxiom appeliert. Augustinus wäre sicher kein schlechter Mathematiker geworden.

1.5. Nietzsche

hat aus der Wiederkehr ein Riesentheater gemacht. So als ob ihm dem erleuchteten Guru dieser Gedanke zum ersten Mal erschienen sei.

1.6. Literatur

Aurelius Augustinus (1978). Vom Gottesstaat Buch 11 bis 22, DTV.

Henning Genz (1987). Symmetrie Bauplan der Natur, Piper.

Rudolf Carnap (1969). Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaft, Nymphenburger Verlagshandlung.

Rudy Rucker (1989). Die Ufer der Unendlichkeit, Wolfgang Krüger Verlag.

Wilhelm Capelle (1968). Die Vorsokratiker, Kröner.

Footnotes:

1

Hier steckt ein Zirkel drin. Denn was soll kürzerer und längerer Verlauf bedeuten?

2

Die Metrik der Zeit ist in dem Buch von Carnap (Rudolf Carnap, 1969 Seite 84 ff) diskutiert. Insbesondere wird hier untersucht, inwiefern es willkürlich ist, was wir periodisch nennen.

3

Es hängt sogar von unserer Theorie über die Welt und die Zeit ab, was der unveränderliche Hintergrund und was der sich bewegende Vordergrund ist. Die Scheidung zwischen Hintergrund und Vordergrund ist eine Leistung des kreativen Weltbetrachters.

4

Dies stammt aus dem Buch der Weisheit

Author: andreas

Created: 2025-02-11 Di 17:54

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